Wir wissen nicht, wie man trauert. Wir haben es nie gelernt.

„Was Trauer mit dem Körper macht“, unter diesem Titel ist heute ein Artikel in der Süddeutsche Zeitung erschienen. Ich finde es erstaunlich, dass wir heute immer noch nicht genau erforscht haben, was im Körper vorgeht, wenn er trauert. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Sterben & Tod lange tabuisiert wurden. Eine Gesellschaft, der es gut geht, die immer älter und agiler wird, die scheinbar unendliche Möglichkeiten hat das Leben zu gestalten, die redet nicht gerne über die Endlichkeit. 

Vor über fünfzehn Jahren begann ich, mich mit dem Tod auseinander zu setzen. In meiner theoretischen Vordiplomarbeit schrieb ich unter dem Namen „Sarg Design“ über die Bestattungskultur und verschiedene Arten der Abschiednahme. Das hat mir den Umgang mit Carstens Tod wesentlich erleichtert. Es gab keine Hemmschwelle zu einem Bestatter zu gehen oder die Trauerfeier zu gestalten. 

Aber ich war noch nie dabei, als jemand gestorben ist. Wir wussten einen Monat vor Carstens Tod, dass er den Krebs nicht überleben würde. Das war eine harte Zeit. Aber wir konnten uns verabschieden und haben uns alles gesagt, was noch zu sagen war. 

Dann kam der Tag, an dem alles anders war, als die Tage zuvor. Ich wusste, jetzt ist es soweit, es ist nur noch eine Frage von Tagen oder vielleicht Stunden. Wir hatten unseren normalen Termin in der Uniklinik und ich fuhr ihn unter Tränen dort hin. Und dann war ich bei ihm, die ganze Zeit bis zu seinem letzten Herzschlag, dem letzten Atemzug. Zwölf Stunden lang.

Es war Montag Nacht. Familie und Freunde waren gekommen und gegangen, verabschiedeten sich. In einem Moment war ich nicht mehr Ehefrau sondern Witwe. Sein bester Freund fuhr mich nach Hause. Dort war ich allein und durchlebte die angebrochene Nacht, als wäre ich an seiner Stelle. Ich dachte, ich sterbe. Das war ein so intensives Gefühl, das ich nicht mehr unterscheiden konnte, ob ich wirklich sterbe oder träume. 

Seither schlägt die Trauer sich auf meinem Körper nieder. Auch heute, fast zwei Jahre nach dieser Nacht, gehe ich gebeugt, habe eine schlechte Körperhaltung. Es gibt taube Stellen an den Knien und ein Stechen im Rücken, wenn ich mich mit Erinnerungen beschäftige. Immer noch gibt es Momente, in denen ich das Gefühl habe, jemanden Huckepack zu tragen, manchmal glaube ich die Treppen nicht mehr hochzukommen. Die linke Körperseite ist besonders verspannt – die Herzseite, die aus so vielen Scherben besteht. Und ich bewege mich wesentlich langsamer durch die Welt. Weil alles so viel Energie kostet. 

„Immer noch.“ Auch fast zwei Jahre später. Trauer endet nicht, weil die Liebe auch nicht endet. Und es ist mir unverständlich, dass unsere Gesellschaft verlangt, man solle nach 14 Tagen Trauer-Urlaub doch bitte wieder „normal“ funktionieren. Hier ist ganz großer Aufklärungsbedarf notwendig. Ich finde, der achtsame Umgang mit Trauernden gehört auch in die Unternehmenskultur! Wir alle haben in unserem Leben Verluste zu beklagen, je besser wir uns darauf vorbereiten und uns gegenseitig unterstützen, so normaler werden wir mit Tod & Trauer umgehen können. Im Zeichen der Selbstoptimierung, der Work-Life-Balance, den Achtsamkeitstrends und dem Umdenken der Wirtschaft/Gesellschaft ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt die Themen Sterben, Tod & Trauer zu integrieren.


Zum Artikel:

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-was-trauer-mit-dem-koerper-macht-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210930-99-426768

 

Fotos: Max Brunnert, Düsseldorf




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