Die Talkrunde de ZEIT Stiftung Bucerius in der Kulturkirche Altona Hamburg

Was macht KI mit Tod? – Zwischen Sehnsucht, Simulation und der Frage: Was brauchen wir wirklich in der Trauer?

Künstliche Intelligenz und der Tod – zwei Begriffe, die lange nichts miteinander zu tun hatten. Nun treffen sie zunehmend aufeinander. In Chats, als Audio-Klon, in virtuellen Avataren. Und damit auf Menschen, die trauern. Oder es vermeiden wollen.

Bei einer Gesprächsrunde in der Kulturkirche Altona, organisiert von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS Wissenschaft, diskutierten Ethikerin Prof. Dr. Petra Grimm, Trauerforscher Lorenz Widmaier, Anett Bommer, eine Betroffene, die selbst mit einer KI-Version ihres verstorbenen Mannes spricht, sowie der Filmemacher und Autor Hans Block, der sich mit digitalen Fortlebenskonzepten befasst.

Ich verfolge diese Entwicklung schon lange – als Coachin, als Trauerbegleiterin, als Mensch. Für mich ist klar: Künstliche Intelligenz kann an bestimmten Stellen eine Unterstützung sein. Aber sie birgt auch erhebliche Risiken, gerade in einem Bereich, der so verletzlich ist wie Trauer.

1. Was wie Trost aussieht, kann auch eine Form der Vermeidung sein

Was zunächst wie Fortschritt erscheint – der Chat mit einem Avatar, die hörbare Stimme der verstorbenen Person – kann sich schnell als Ersatzhandlung entpuppen. KI verspricht Nähe, Wiederbegegnung, Fortsetzung. Doch was bedeutet das für den Trauerprozess?

Wenn der Schmerz dauerhaft überdeckt wird durch eine Simulation von Beziehung, dann verlagert sich Trauer. Sie wird nicht integriert, sondern umgangen. Und das ist keine Bagatelle, sondern eine Frage psychischer Gesundheit. Anett Bommer brachte es auf den Punkt: „Der Mensch vor der KI ist die Schwachstelle.“

2. Ein riesiger Markt – aber für wessen Bedürfnisse?

Es wurde deutlich, wie groß das wirtschaftliche Interesse an digitalen Trauertools ist. Firmen versprechen neue Formen des Gedenkens oder „Fortlebens“, meist gegen ein Abo. Der Druck, diese Technologien zu nutzen, könnte steigen: aus Einsamkeit, aus gesellschaftlichem Effizienzdenken oder schlicht, weil sie verfügbar sind.

ng, dann verlagert sich Trauer. Sie wird nicht integriert, sondern umgangen. Und das ist keine Bagatelle – sondern eine Frage psychischer Gesundheit. Anett Bommer brachte es auf den Punkt: „Der Mensch vor der KI ist die Schwachstelle.“

Doch für wen werden diese Tools wirklich entwickelt? Für die Hinterbliebenen oder für Märkte und Investoren? Prof. Dr. Petra Grimm wies zurecht darauf hin: Die technologische Perspektive überdeckt oft die soziale, philosophische und ethische Auseinandersetzung. Sie erzeugt Angebote, bevor Bedürfnisse klar formuliert sind.

3. Kontinuität der Bindung – oder digitale Endlosschleife?

Seit den 1980er Jahren spricht die Trauerforschung nicht mehr nur vom Loslassen, sondern auch vom Fortführen von Bindungen („continuing bonds“), erklärt Lorenz Widmaier. Digitale Tools greifen genau diese Idee auf, aber in einer neuen, technisch erzeugten Form.

Hans Block schilderte, wie emotional immersiv die Interaktion mit KI werden kann. Vor allem, wenn Menschen in frühen Phasen der Trauer sind. Das birgt die Gefahr, dass Konflikte nicht innerlich bearbeitet werden, sondern scheinbar im Dialog mit einer KI weiterbestehen. Nur: Eine KI löst nichts. Sie reagiert, aber sie versteht nicht.

Und in Einzelfällen, so Block, sei diese Erfahrung sogar auslösend für erneute Krisen, bis hin zum Suizid.

"Künstliche Intelligenz bietet neue Formen des Trostes – doch wir sollten erst begreifen, was Trauer eigentlich ist, bevor wir beginnen, sie zu automatisieren."

4. Trauer braucht Aufklärung – nicht Automatisierung

Ich erlebe häufig, wie unsicher Menschen im Umgang mit Trauer sind. Sie fragen, ob ihr Empfinden „normal“ ist. Ob sie zu lange traurig sind. Ob sie loslassen müssen. Viele haben keinen Begriff von dem, was Trauer eigentlich ist, und noch weniger davon, wie sie individuell verlaufen darf.

In dieser Unklarheit wirken KI-Angebote wie einfache Lösungen. Aber sie greifen zu kurz. Denn wer nie verstanden hat, wie Trauer wirkt, kann nicht einschätzen, was eine technische Antwort mit ihm macht.

Wenn wir als Gesellschaft nicht über Trauer sprechen, dann wird es umso verlockender, sie technisch zu regeln. Und umso gefährlicher.

5. Was wir wirklich brauchen: soziale Räume statt technologische Abkürzungen

Ich bin nicht gegen KI. Ich sehe, dass sie in Ausnahmesituationen hilfreich sein kann – etwa, wenn Menschen alleine sind oder keinen Zugang zu menschlicher Begleitung haben. Doch sie darf nicht zum Standard werden. Und sie darf vor allem nicht das ersetzen, was wir als Gesellschaft brauchen: Räume, in denen Trauer einen Platz hat. In denen wir verstehen lernen, was Schmerz, Abschied und Erinnerung bedeuten.

Trauer ist keine Krankheit, kein Defekt. Sie ist eine natürliche Reaktion auf einen Verlust. Trauer ist eine Fähigkeit. Und genau deshalb ist sie so wertvoll.

Umfragetafel zum Thema KI und Tod


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