19 Dez Ich habe Weihnachten verloren.
In unserem gemeinsamen Leben gab es drei besondere Jahreszeiten: den Frühling, den Spätsommer und die Adventszeit.
Als November-Geborene war das Jahresende stets eine Anreihung von festlichen Anlässen. Die erste Einstimmung gab es Mitte des Monats, wenn wir unsere Geburtstage feierten. Wenige Tage danach erleuchteten die ersten Weihnachtsmärkte.
Lichterketten, Tannenduft und opulente Weihnachtsdeko machten sich ab Dezember breit. Gefolgt vom traditionellen Adventsessen mit der Familie trafen wir uns Jahr für Jahr mit guten Freunden zum „Weltfrieden-Trinken“ am Glühweinstand des Lions Club, dessen Einnahmen für soziale Projekte gespendet wurden. Nach dem Spaziergang im Abendrot schmeckte der Christstollen am besten zum jährlichen Weihnachtsfilm mit Chevy Chase.
Winterwonderland
Vor allem erinnere ich mich an zwei Reisen, die wir nach New York, Rhode Island und nach Hawaii unternommen haben. In den USA ist die Weihnachtszeit genau so, wie in den Filmen. Mag es auch noch so kitschig sein, es fühlte sich an, als wären wir direkt im Winterwonderland gelandet. Als wir aus New York Richtung Neu England fuhren, wurde es immer idyllischer, als wartete Santa Claus in seinem Schlitten hinter der nächsten Ecke.
Selbst im sommerlichen Südsee-Paradies konnte es kaum weihnachtlicher sein. Nur, dass Santa Hawaiihemd und Shorts gegen den flauschigen Mantel tauschte. Überall lief Weihnachtsmusik, wirklich überall. Wir haben es geliebt und uns einfach im weihnachtlichen Flow treiben lassen.
Was ist von Weihnachten übrig geblieben?
Seit drei Jahren ist das Fest nicht mehr dasselbe. Weihnachten 2018 saßen wir hilflos und nahezu ohnmächtig mit der Diagnose Krebs auf dem Sofa. Die hatte Carsten nur wenige Tage zuvor erhalten. Unheilbar hieß es, die erste Chemo war gerade durch.
Ein Jahr später war Carsten schon nicht mehr da. Und ich saß alleine bei meiner Familie und sah den Kindern meines Bruders beim Geschenke auspacken zu.
Und heute? Heute sitze ich hier, weil ich mir die Frage stelle, ob ich jemals wieder Weihnachten so genießen kann wie früher. Ich habe keine Antwort darauf. Ich kann nur beschreiben, wie sich ein Weihnachtsfest anfühlt, wenn ein geliebter Mensch fehlt. Es schmerzt. Es schmerzt auch, wenn dieser Mensch schon zwei Jahre tot ist. Und es wird auch weiterhin schmerzen, das weiß jede*r, der jemanden vermisst.
Gestern fuhr ich zum Gartencenter mit der Absicht mir einen Mini-Tannenbaum für den Balkon zu kaufen. Ich sah Familien, die einen großen, schönen Baum heraus schleppten und glänzende Kinderaugen. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht? In mir zog sich alles zusammen, Erinnerungen trieben mir die Tränen in die Augen und ich stellte fest: ich habe Weihnachten verloren!
Es ist nicht der Wert der Weihnacht, der verloren gegangen ist. Es ist der Geist der Weihnacht, der Zauber. Wie kann ich diese wunderschöne Zeit ohne Carsten genießen? Ich fühle mich wie ein Feinschmecker, dessen Geschmacksnerven versagen. Wie unsichtbar inmitten der Menschenmenge, das kaputte Glühbirnchen in der Lichterkette.
Für mich war es immer die romantischste Zeit im Jahr. Bisher hatte ich das große Glück, unbeschwert genießen und träumen zu können. Dafür bin ich unglaublich dankbar! Und wenn mich eines durch die Trauer trägt, dann ist es Dankbarkeit.
Weihnachten ist wahrscheinlich nicht verloren, es ist nur kleiner geworden. Ein heißer Tee, eine Duftkerze und darauf besinnen, was ich alles habe.
Frohe Weihnachten!
Titelfoto: North Pole & Santa’s Workshop in Colorado Springs (2016)