09 Mai Wie überlebt man den Tod eines geliebten Menschen?
Mitte März sprach mich Silvi Feist, Redakteurin des emotion Magazins, an. Es ginge um einen Artikel über Trauer und sie musste dabei direkt an mich denken. Zuvor waren wir uns bei einem digitalen Empowerment-Format der emotion begegnet. Da es mir wichtig ist, über Tod & Trauer offen zu sprechen, habe ich natürlich sofort zugesagt.
Claudia Minner, die Texterin, meldete sich bei mir. Und ich begann die letzten zwei Jahre aufzurollen. Ich erzählte ihr von der Diagnose, dem Krebs, den Prognosen und den vielen Rückschlägen, die wir zu verkraften hatten. Carstens Todestag habe ich immer noch so präsent vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Ich spüre immer noch, wie sein Herz langsamer wird und ich dabei fast aufhöre zu atmen.
Eine Woche lang beschäftigte ich mich intensiv mit den letzten gemeinsamen Monaten und der Zeit danach. Das Gefühlswirrwarr der Trauer, die Einsamkeit, die Dankbarkeit, der anhaltende Schmerz. Nachdem Carsten im November 2019 von uns ging, war ich damit beschäftigt meinen Umzug von Wuppertal nach Grevenbroich zu planen. Ich hatte mir schon vor seinem Tod Gedanken darüber gemacht, wie es mit meinem Leben danach weiter gehen sollte. So hatte ich den Entschluss gefasst, in die Nähe meiner Familie zu ziehen und die Zelte in Wuppertal abzubrechen. Ich hatte mir auch fest vorgenommen nicht in ein tiefes Loch zu fallen, sondern den Schmerz anzunehmen, auszuhalten und daran zu wachsen.
Doch 2020 war kein einfaches Jahr. Im März, kurz vor der geplanten USA-Reise mit meiner besten Freundin, die wir Carsten zu Ehren unternehmen wollten, überschwemmte die Covid-Pandemie unser aller Leben. Zunächst nutzte ich die Ruhe, um meine Trauer weiter zu verarbeiten. Parallel richtete ich mich beruflich neu aus, probierte einige Wege und Kooperationen.
Im November 2020 kam der erste Todestag. Ein paar Tage später wäre Carstens Geburtstag gewesen, zwei weitere Tage später hatte ich Geburtstag. Der November war immer „unser“ Monat. Nun quälte ich mich morgens aus dem Bett – welchen Grund hatte ich eigentlich morgens aufzustehen? Die geplante Trauerfeier im engen Freundeskreis kam durch den Beginn der dritten Corona-Welle nicht zustande, ich verkaufte unseren Oldtimer Baujahr 1955 an Carstens besten Freund, und hängte einen kleinen Teil unserer sonst üppigen Weihnachtsdekoration unter Tränen auf.
Für den Jahreswechsel nahm ich mir vor, dass 2021 unter dem Motto „Loslassen und neu ausrichten“ steht und bemerkte zunächst, dass mir diese neue Engerie gut tat.
Ich denke weiterhin jeden Tag an Carsten. Trauer und Schmerz beginnen aber sich zu verändern.
Es wird nicht besser, aber anders. Die schmerzlichen Phasen kommen in größeren Abständen, tun dann aber gefühlt noch stärker weh. Das konnte ich am ganzen Körper wahrnehmen.
Die ersten Wochen im neuen Jahr hatte ich mich körperlich etwas erholt. Der „Trauer-Rucksack“ auf meinen Schultern war ein wenig leichter geworden – oder ich vielleicht stärker und konnte ihn besser tragen.
Ich setzte mich also nun intensiv mit dem Thema Tod & Trauer für den emotion Artikel auseinander. Besonders schwer fiel mir das Fotoshooting mit Max Brunnert. Wie wird jemand fotografiert, der über Liebe, Verlust und Trauer redet? Was ziehe ich dafür an? Wie mache ich mir die Haare? Wie gucke ich? Lächeln? Es war ein fröhliches Shooting und Max hat wunderbare Fotos von mir gemacht. Aber innerlich war ich ganz schön angespannt und versuchte präsent zu sein, wie lange nicht mehr.
Eine Woche später hatte sich diese intensive Auseinandersetzung wieder auf den Körper gelegt, besonders auf Rücken und Schultern. Um mich zu erholen, gehe ich lange mit meinem Hund spazieren. Am liebsten über die Felder, wo die Windräder stehen. Dort habe ich Weite, Raum für Gedanken, der Wind bläst den Kopf frei, die Sonne wärmt mich und der Anblick meines lebensfrohen Vierbeiners heilt mein gebrochenes Herz ein bisschen.
Es ist Anfang Mai und sehnsüchtig erwarte ich die neue emotion-Ausgabe. Und da bin ich. Eine von drei Frauen, die mit Schicksalsschlägen leben lernen müssen. Der Tod ist eben mitten im Leben. Claudia ist es gelungen, höchst einfühlsam, aus einem Berg an Informationen meine Gefühle auf den Punkt zu bringen. Im nachfolgenden Interview (Seite 38) mit dem US-amerikanischen Psychoanalytiker Prof. Irvin D. Yalom finde ich viele Gemeinsamkeiten. Es tröstet mich zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit meinem Schmerz, den Gedanken und Gefühlen. Vielen Menschen geht es ähnlich.
Herzlichen Dank an Silvi Feist, Claudia Minner, Sabine Dahl und Max Brunnert.
Emotion Magazin 06-2021, Seite 34